Skaten mit Handicap - Hans-Jürgen Westbrock im Interview

Hans-Jürgen Westbrock im Interview

Viele haben Ihn auf Skate-Rennen oder bei diversen Night Skating Veranstaltungen gesehen: Den Mann mit dem „eisernen“ Bein. In diesem Jahr war er auch bei der 7. Auflage der Rhein-Main Skate-Challenge am Start. Zielzeit: 1:45 Stunden. Aber wer ist das eigentlich, der es schafft, eine Sportart, die an sich schon mit zwei gesunden Beinen als koordinativ sehr anspruchsvoll gilt, quasi mit „links“ auszuüben?

Hans-Jürgen Westbrock ist leidenschaftlicher Inline-Skater mit Handicap. Mit drei Jahren hat ihn ein Tanklastzug angefahren. Seit dem lebt er mit Unterschenkelprothese. Kai Menze sprach mit ihm über Glücksmomente beim Skaten und die Herausforderungen, die sein Handicap mit sich bringt.

Seit wann skatest Du?
Westbrock: Meine ersten Versuche habe ich in 2001 gestartet, richtig mit dem Skaten angefangen habe ich in 2003.

Und wie bist Du zum Inline-Skaten gekommen?

Westbrock: Erstmalig bin ich in einem heimischen Sportgeschäft mit Skates in Kontakt gekommen – hat mich sofort begeistert. Für mich war auch sofort klar, dass ich das unbedingt ausprobieren muss.

Was empfindest Du als die größte Herausforderung beim Skaten mit Prothese?
Westbrock: Dass die Prothese keine Druckstellen verursacht und das Material hält.

Welche Anforderungen stellen sich an Mensch und Material?

Westbrock:
An beide sehr hohe. Bedingt durch eine hohe und zum Teil einseitiger Belastung entstehen beim Rollen und Abdrücken enorme Kräfte. Den Großteil der Belastungen muss ich über das gesunde Bein abfangen. An meinem Stumpf kann ich nur begrenzten Druck ertragen. Kleinste Veränderungen am Stumpf oder am Material verändern das Skaten und können so schnell zum Problem werden. Es kann sich schnell eine Druckstelle entwickeln oder es reißt an der Prothese oder der Schiene mal wieder eine Schraube ab. Jeder Skate Tag ist eben anders. Deshalb muss ich auch immer wieder die Prothesenstellung korrigieren und das Material prüfen. Ich möchte es mal an einem Beispiel erklären: Aufgrund der unterschiedlichen Belastung auf die Rollen nutzen sich diese sehr viel schneller unterschiedlich ab. Folglich verändert sich das Kippverhalten der Schiene bzw. des Schuhes auch eher. Bei, ich nenn sie mal zweibeinigen Skater, erfolgt die Stabilisierung in erster Linie über das Sprunggelenk. Ich kann das nicht, ich muss über das Bein und den ganzen Körper stabilisieren. Man muss sich das etwa so vorstellen: mit einem Bein steht man in einem festen Schuh auf breiten Rollen und mit dem anderen Fuß in einer Sandale auf einer Schlittschuhkufe.

Wie hast Du das Inline-Skaten erlernt?
Westbrock: Step by step! Meine ersten Skates waren Hartschalenskate, mit diesen habe ich auf unserer Terrasse, unter zu Hilfenahme von unterschiedlichsten Hilfsmitteln, die ersten Zentimeter gerollt. Anfangs war es schon äußerst schwierig das Gleichgeweicht auf der Prothese zu halten. Nach unzähligen Versuchen und Änderungen an der Prothese hat es dann irgendwann einigermaßen funktioniert und ich bin meine ersten Meter auf der Straße gerollt. Peu à peu habe ich mich dann verbessert. In 2004 habe ich meinen DSV Inline-Instruktor gemacht, das hat mir hinsichtlich der Technik sehr viel gebracht. Seit 2008 nehme ich regelmäßig an den Skate-Nights in Gießen (TNS Gießen) teil und nehme gemeinsam mit den Rolling Oldies an weiteren Veranstaltungen teil. Wenn es meine Zeit erlaubt besuche ich inzwischen auch gerne das TNS in Frankfurt.

Wie viele Wettkämpfe hast Du auf Skates (in etwa) bisher absolviert?
Westbrock: ca. 30

Deine Marathon-Bestzeit?

Westbrock: 1:35.04 h

Du warst in diesem Jahr auch bei der 7. Rhein-Main Skate-Challenge in Frankfurt am Start. Dein Fazit zum Rennen?
Westbrock: Dieses Jahr fand ich es viel besser. Ich hatte mir das Rennen besser eingeteilt als im letzten Jahr. Insgesamt eine sehr schöne Veranstaltung

Wo planst Du, in diesem Jahr noch an den Start zu gehen?
Westbrock: Beim 19. hella hamburg halbmarathon, am 12. Heidelberger Rollstuhlmarathon, dem K2 Inlinemarathon Köln und evtl. noch beim 40. BMW BERLIN-MARATHON Inlineskating. Außerdem möchte ich gerne noch einige Mehrtagestouren machen sowie bei Rhine on Skates und diversen autofreien Sonntagen mit rollen.

Deine sportlichen Ziele?
Westbrock: Eine Marathonzeit unter 1:30.00 h sowie noch weitere Sponsorentouren für den Behindertensport, ähnlich denen von 2009 – 2011.

Was waren das für Touren und was hatte dich dazu veranlasst?
Westbrock:Bei den Touren geht es um Sponsoring für den Behindertensport – genauer gesagt für den alpinen Wintersport. Ursprünglich hatte ich vor, mit dem Fahrrad vom nördlichsten zum südlichsten und vom östlichsten zum westlichsten Punkt Deutschlands zu fahren. In 2008 habe ich mir dann überlegt das Ganze als Sponsoringtour auf Inline-Skates zu machen. Mit dem Fahrrad hatten das ja schon einige gemacht – aber auf Inline-Skates bisher niemand. Mit den Geldern sollten dann behindertengerechte Skigeräte beschafft werden. Also habe ich mich auf die Suche nach Sponsoren für mein Vorhaben gemacht. Dies war eindeutig der schwierigste Teil des Projektes. Aber es ist mir gelungen einige Unterstützer zu finden. Alle Geldspenden wurden zu 100 % der Wintersportabteilung des BSNW (Behinderten-Sportverband Nordrhein Westfalen) zur Verfügung gestellt. Meine bzw. unsere Kosten (auf der zweiten und dritten Etappe wurde ich von meiner Lebensgefährtin Alexa begleitet) habe/n ich/wir selbst getragen. Im Juni 2009 habe ich dann meinen Rucksack mit den notwendigsten Sachen gepackt und mein Abenteuer „Auf Inline-Skates durch Deutschland“ gestartet. Wer Interesse hat, kann meinen detaillierten Tour-Bericht gerne unter www.skater-on-tour.de nachlesen. Für 2014 habe ich meine nächste Tour eingeplant.

Welche Sportarten betreibst Du neben dem Inline-Skaten noch?
Westbrock: Sitzball, Sledge-Eishockey, Mountain-Bike, Tauchen und wenn immer es geht Ski alpin. Inzwischen fahre ich nur noch wenige Skirennen. In erster Linie bin ich in der Ausbildung „Ski alpin für Menschen mit Behinderung“ aktiv. Durch meine Sponsorentouren konnten wir im BSNW weitere Skigeräte für begleitetes Skifahren – speziell für Schwerstbehinderte – anschaffen. So kann ich inzwischen ganzjährig sowohl Eltern, Betreuer/innen als auch Lehrer/innen für das Skifahren mit Behinderung ausbilden. Häufig begleite ich auch Schulen und Einrichtungen in Skifreizeiten. www.bsnw.de

Dein kuriosestes Erlebnis beim Skaten mit Prothese?
Westbrock: Da gibt es viele, sowohl schöne als auch weniger nette. Ein lustiges auf meiner zweiten Tour von Fulda nach Oberstdorf, an das ich mich gerne erinnere. Im Allgäu baten wir auf einem Gehöft eine ältere Bäuerin um ein Glas Wasser. Als Sie meinen zerbrochenen Blading-Stock sah, fragte Sie mich: „Gehört das so? - Ist das so passend zum Bein?“ Wir schauten uns an und mussten alle herzlich lachen. Einige weitere finden sich in meinem Tour-Bericht.

Vielen Dank für das Interview, Hans-Jürgen, eine erfolgreiche und sturzfreie Saison und viel Erfolg bei Deinen weiteren Projekten!

Wenn Ihr Lust bekommen habt, einen tieferen Einblick in den Sport mit Handicap zu erhalten, dann solltet Ihr mal auf der Webseite des Behindertensportverbands Nordrhein-Westfalen vorbeischauen. Gerne könnt Ihr dort auch mit einer Spende unterstützend tätig werden: http://www.bsnw.de/Spende.243.0.html

Kontaktmöglichkeit:
Hans-Jürgen Westbrock: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Interview: Kai Menze
Fotos: Kai Menze, Frank Räcker


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